Friedrich Merz will nun die Asylwende geschafft haben. Unter seiner Führung habe die CDU die Asylbewerberzahlen massiv reduziert. Dabei schwanken Asylzahlen extrem. Das Problem ist nicht, dass mal mehr kommen, sondern dass keiner geht. Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen

Diese Darstellung ist nicht nur irreführend, sie offenbart ein grundlegendes Problem unseres Migrationsdiskurses: die Fixierung auf kurzfristige Zahlen statt auf langfristige Lösungen.
Die historische Volatilität der Asylzahlen
Ein Blick in die Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge entzaubert Merz’ Narrativ schnell. Asylantragszahlen unterliegen seit Jahrzehnten starken Schwankungen, beeinflusst von Faktoren, die weit jenseits der Kontrolle deutscher Innenpolitik liegen. Die hohen Zahlen von 2015/2016 waren eine historische Ausnahme, getrieben durch den Syrienkrieg und andere Konflikte. Der anschließende Rückgang folgte einem bekannten Muster – ähnliche Rückgänge gab es nach dem Jugoslawien-Krieg in den 90er-Jahren.
Höhepunkte 1992 und 2016
Tatsächlich erreichte die Asylmigration nach Deutschland im Jahr 1992 einen ersten Höhepunkt mit 438.191 Anträgen, um daraufhin auf 28.018 im Jahr 2008 herabzusinken. 1992 wurde erst 2015 wieder übertroffen, und im Jahr 2016 stellte die bisherige Rekordzahl von 745.545 Menschen einen Asylantrag in der Bundesrepublik. Danach fiel sie wieder rasant ab, erreichte im Jahr 2023 noch einmal 351.915 Menschen, um 2024 schon wieder auf 250.945 zu sinken.
Die aktuell moderateren Zahlen sind weniger einer bestimmten Politik als vielmehr veränderten äußeren Bedingungen geschuldet. Diese Schwankungen sind der Normalfall, nicht das Ergebnis einzelner politischer Maßnahmen oder Aussagen. Das gilt für alle Schwankungen der Asylzahlen. Die hatten nie etwas mit grundsätzlich anderer Politik zu tun.
Keiner kann Asylzahlen erklären
Weil Schwankungen von 30–40 % von Jahr zu Jahr nichts Ungewöhnliches sind, weiß auch niemand wirklich, warum sie in einem Jahr so, im anderen so sind. Einzelne Spitzenwerte wie die von 1992 oder 2016 kann man mit bestimmten außenpolitischen Ereignissen erklären – den Balkankriegen oder dem syrischen Bürgerkrieg –, aber selbst da wird es ungewiss. Warum haben wir ausgerechnet 1991–1993 und 2015–2016 eine riesige Stampede? Beide Konflikte dauerten wesentlich länger.
Stattdessen denkt man sich Erklärungen aus
Für die generellen Trends habe ich noch nirgendwo ein gutes Modell gesehen, das diese Schwankungen erklärt. Stattdessen nehmen die Leute meist irgendein gerade herumliegendes Ereignis als Erklärung. Als 2020 etwa die Coronamaßnahmen erlassen wurden, da gingen die Asylzahlen um 26,4 % zurück. Das erklärte man mit den Lockdowns. Von 2023 fielen die Asylzahlen um 28,7 % – ohne Corona und unter der Ampelregierung. Wären die Asylzahlen von 2019 auf 2020 gestiegen, dann hätten dieselben Leute auch das mit Corona erklärt.
Wenn irgendjemand meint, er könne erklären, warum Asylzahlen mal so, mal so sind, dann hätte ich gerne eine Prognose für die nächsten drei Jahre. Ich warte.
Das Problem ist, dass kaum einer geht
Das Problem mit dem Asyl ist nicht, dass in einem Jahr mehr Asylanten kommen als in einem anderen. Es geht darum, dass – egal ob gerade viele oder wenige kommen – kaum einer geht.