Die Koalitionspartner wollen nun „hinter den Kulissen“ die Besetzung des Bundesverfassungsgerichts aushandeln. Kriselt es, wird Öffentlichkeit zum Störfaktor der Demokratie. Ein Kommentar von Johannes Konstantin Poensgen

(Bildmontage: Offensiv!; Bundesverfassungsgericht: Mehr Demokratie, CC BY-SA 2.0, via Wikimedia Commons; Carsten Linnemann: Dr. Frank Gaeth, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons)
Carsten Linnemann ist herausgerutscht, was alle anderen nur gedacht haben: Die Wahl der Verfassungsrichter muss man „hinter den Kulissen“ klären. Der kleine Skandal, der daraus jetzt gemacht wird – dass Linnemann einmal ehrlich war –, verbirgt den größeren und dauerhafteren Skandal: dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts von den Kartellparteien nach Kartellabsprachen besetzt werden.
Nicht, dass Linnemann eine Klärung hinter den Kulissen will, ist das Problem. Das Problem ist, dass er damit recht hat. Dass die Wahl der Verfassungsrichter darauf ausgelegt ist, dass sie so erfolgen muss. Das Problem ist, dass die Nichtwahl einer abgesprochenen Kandidatin in diesem System nicht vorgesehen ist. Dass dies tatsächlich ein Betriebsunfall war. Das Problem ist, dass Britta Haßelmann aus Sicht des Verfahrens recht hatte, wenn sie Jens Spahn Vorwürfe machte.
Man möchte ja meinen, dass einfach nicht genug Unionsabgeordnete ihrem Fraktionsvorsitzenden in der Wahl dieser bestimmten Kandidatin folgen wollten. Nicht nachdem die Zivilgesellschaft – in diesem konkreten Fall vor allem die christliche Zivilgesellschaft – sich „in den politischen Diskurs eingebracht hatte“, wie es so schön heißt. Dafür ist die Zivilgesellschaft doch da, oder habe ich da etwas falsch verstanden?
Die Wahl der Verfassungsrichter „soll“ so funktionieren!
Das ist nicht nur nicht vorgesehen, es widerspricht der Eigenlogik der Richterwahl. Sachlich betrachtet können die Zweidrittelmehrheiten nur auf eine von zwei Arten zustande kommen: Entweder dadurch, dass Kandidaten aufgestellt werden, die tatsächlich so weit über den Parteien stehen, dass sie von zwei Dritteln der Abgeordneten gewählt werden. Oder aber so, wie es eben tatsächlich gemacht wird – indem man sich vorher im Parteienkartell einigt. Die Zweidrittelmehrheitshürde soll sicherstellen, dass die Regierung das Verfassungsgericht nicht einfach mit ihr wohlgesonnenen Richtern besetzt. Aber was bedeutet das in einem Parteienkartell, in dem die relevanten Entscheidungen des Gerichts eben Entscheidungen über die einzige wirkliche Oppositionspartei sind – und diese Partei keinen einzigen Richter vorschlagen darf?
Die Verfassungsrichter werden in diesem System von den Fraktionsführern ausgekungelt – oder gar nicht. Man kann die Formalitäten gestalten, wie man will, darauf läuft es hinaus. Das Bundesverfassungsgericht, die Instanz, die in der Bundesrepublik letztverbindliche Entscheidungen trifft, wird und muss von den Fraktionsführern „hinter den Kulissen“ besetzt werden. So funktioniert dieses System – und nicht anders. Dazu will Carsten Linnemann jetzt zurückkehren.