Gestern wurde ich zusammen mit neun anderen Angeklagten vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen. Erstinstanzlich. Zwei andere bleiben aber auf ihren Kosten sitzen. Johannes Konstantin Poensgen in eigener Sache.

Es war das Absurdeste, was ich jemals mit der deutschen Justiz erlebt habe. Wir haben bis jetzt nichts darüber an die Öffentlichkeit weitergegeben, weil gerade die Absurdität uns keinen Anhaltspunkt darüber ließ, wozu das alles führen würde. Aber der Reihe nach:
Am Volkstrauertag 2023 fand eine Gedenkveranstaltung statt, bei der nun einmal passierte, was auf solchen Gedenkveranstaltungen passiert: Lieder wurden gesungen, Ansprachen gehalten und ein Kranz niedergelegt. Wie sich dann vor Gericht herausstellte, rief ein Passant, der zufällig Journalist bei der Lokalzeitung ist, die Polizei – noch bevor überhaupt irgendetwas passiert war –, als die Gruppe dieser Gedenkveranstaltung gerade das Gelände eines Soldatenfriedhofs betreten hatte. Als Grund gab er später an, dass diese Gruppe auf ihn den Eindruck einer rechten Gesinnung gemacht habe.
Dementsprechend rückte die Polizei an und unterzog eine Gruppe von Personen vor dem Friedhof einer Personenkontrolle, darunter auch meine Wenigkeit. So standen wir also gut zwei Stunden in der Kälte, während uns die Polizisten einzeln abtasteten. Der Einsatzleiter gelangte zu der Auffassung, es habe sich hier um eine unangemeldete Versammlung gehandelt, und erteilte uns einen Platzverweis.
Anderthalb Jahre später: Strafbefehl!
Fast anderthalb Jahre später, im März 2025, hatten wir alle auf einmal einen Strafbefehl über 1.600 Euro im Briefkasten. Also 1.600 Euro pro Nase. Aus der unangemeldeten Versammlung war inzwischen eine Volksverhetzung nach § 130 Abs. 4 StGB geworden. Also: die Billigung, Verherrlichung oder Rechtfertigung (welches von den dreien jetzt eigentlich, das haben wir bis heute nicht herausbekommen) der nationalsozialistischen Willkürherrschaft. Gut, alle Einspruch einlegen, und dann sieht man sich vor Gericht. In Deutschland ist es so, dass bei einem Einspruch gegen einen Strafbefehl ein Prozess erfolgen muss. Man kann dann nicht einfach einstellen. Das heißt, dass manche Richter Strafbefehle auch in der Hoffnung ausstellen, dass die Betroffenen einfach zahlen, damit die Sache vorbei ist. Aber wenn doch Einspruch erfolgt, dann hat der Richter den Prozess an der Backe – in unserem Fall einen Prozess gegen zwölf Angeklagte, was die logistischen Ressourcen eines deutschen Amtsgerichts bis an die Obergrenze strapaziert.
Für den 27. Oktober hatte man dann aber doch einen Verhandlungstermin gefunden. Am Einlass zum Verhandlungssaal war eine Personenkontrolle wie in einem Mafiaprozess aufgebaut – mit Metalldetektor und allem Drum und Dran. Wir hatten im Amtsgericht Koblenz denselben Saal, in dem von 2012 bis zur Einstellung 2019 der Monsterprozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein geführt worden war.
Unter allem, was uns dort nun vorgeworfen wurde – und es war ein ziemlicher Wust –, war genau eine Behauptung in irgendeiner Weise geeignet, diesen Vorwurf zu begründen: Es wäre der Satz gefallen, und ich zitiere hier aus dem Strafbefehl:
„Das heilige Dritte Reich hat im Zweiten Weltkrieg für die richtige Sache gekämpft.“
Drei Zeugen für die Staatsanwaltschaft
An diesen Satz konnte sich vor Gericht keiner der Zeugen mehr erinnern. Überhaupt konnten sich die Zeugen an recht wenig erinnern – und vor allem an wenig Übereinstimmendes. Diese Zeugen, drei an der Zahl, saßen als Verkörperung spätbundesrepublikanischer Zustände in diesem Gerichtssaal:
Da war zuerst der linke Lokaljournalist, der sich an keine konkreten Aussagen mehr erinnern konnte, die wir – oder vielleicht auch er selbst – irgendwo gemacht haben könnten. Umso mehr erinnerte er sich an das rechte Erscheinungsbild der Gruppe auf der Gedenkveranstaltung und war der Ansicht, dass Menschen mit solcher Gesinnung auf einem Gedenken nichts verloren hätten.
Dann kam ein offenkundig schwer verwirrter Mann, der das Gericht wissen ließ, dass er zwar einmal Aufzeichnungen gemacht, diese dann aber wieder vernichtet habe. Dafür hatte er neue Aufzeichnungen gemacht, aus denen er immer wieder abzulesen versuchte. Die Richterin hatte ihre liebe Not damit, ihn davon abzuhalten, da ihm auch nach wiederholter Erläuterung nicht einsichtig war, warum – oder auch nur dass – eine Aussage glaubwürdiger ist, wenn sie frei aus dem Gedächtnis vorgetragen wird. Zeitweilig redete er im Zeugenstand auch über seine Mutter.
Was diesen Herren anbelangt, so erwies die strenge Einlasskontrolle doch noch ihr Gutes. Einer von uns konnte ihn dabei beobachten, wie er sich dort beim Verlassen des Gerichtssaals ein benutztes Schnapsglas abholte.
Der dritte Zeuge war ein älterer Herr, wie es sie millionenfach in diesem Land gibt: ein anständiger Mensch, dessen größter Charakterfehler darin besteht, felsenfest von der Anständigkeit dieses Staates überzeugt zu sein. Seine Bemühung, in dieser Farce getreulich seiner Bürgerpflicht nachzukommen, war deplatziert, aus der Zeit gefallen und – ehrlich gesagt – rührend.
Diese drei tätigten nun also ihre Aussagen, denen wenig zu entnehmen war – außer, welche unterschiedlichen Wortverbindungen alles mit dem Ausdruck „Reich“ möglich sind. Vom deutschen Reich bis zum himmlischen Reich tummelten sich in diesen Zeugenaussagen sämtliche möglichen Kombinationen. Nur das Dritte Reich ließ sich nicht blicken.
Woher und wie es dann in die Akten gekommen war, das vermochten auch die beiden als Zeugen geladenen Polizisten nicht zu sagen. Keiner von ihnen hatte damit irgendetwas zu tun gehabt. Wir konnten uns inzwischen freilich zusammenreimen was passiert war: Der Journalist hatte die Polizei gerufen, weil wir ihm zu rechts aussahen und danach musste das irgendwie gerechtfertigt werden. Aber wie genau dieser Satz in die Akten kam und von wem, das werden wir wohl nie erfahren. Nach diesen Vernehmungen war es schon spät, und so wurde das Verfahren vertagt und ein weiterer Gerichtstermin anberaumt.
Straftatbestand: Aussehen wie Heinrich Himmler
Der war dann gestern. Diesmal bekamen wir nicht mehr den Aktionsbüro-Mittelrhein-Saal und die Einlasskontrolle fiel auch weg. Gegen letztere und die dadurch erfolgte Abnahme unserer Trinkflaschen hatte am ersten Prozesstag einer der Anwälte erfolgreich interveniert, sehr zur Belustigung einer Schulklasse die man offenbar durch den Besuch dieser ansonsten lähmenden Veranstaltung vom Jurastudium abhalten wollte. Im Rahmen des zweiten Verhandlungstages erfuhr ich zu meiner eigenen Verwunderung, dass ich eine saubere Polizeiakte habe. Ich weiß nicht ganz, ob ich darauf stolz sein soll. Für „nichts“ jedenfalls standen die Herren von der Polizei ein paar mal zu oft vor meiner Tür, haben alles in allem etwa 1500 Euro zu viel von meinem Eigentum beschlagnahmt und einige weitere hundert Euro Anwaltskosten verursacht. Aber doch recht rasch kamen wir dann zu den Plädoyers. Die Staatsanwältin hatte eine Einstellung ausgeschlagen und forderte nun von jedem Angeklagten 3.000 Euro, für Studenten und Auszubildende herabgesetzt auf die Hälfte. Vom „heiligen Dritten Reich“ war auch in ihrer Darstellung des Sachverhalts nichts mehr übrig geblieben. Stattdessen wollte sie uns dafür verurteilen lassen, dass
- irgendwelche Leute sich subjektiv an der Gedenkveranstaltung gestört hätten, und
- – und ich denke mir das nicht aus, es war Teil des Sachverhalts, den die Staatsanwältin anführte – einer der Angeklagten habe am fraglichen Tage ausgesehen wie Heinrich Himmler.
Nun muss man der Gerechtigkeit halber sagen: Wir haben ihn selbst immer wegen dieser bescheuerten kleinen Brille aufgezogen. Hätte er statt eines Seitenscheitels dazu einen Struwwelkopf getragen, dann wäre er als Harry Potter durchgegangen. Ich weiß nicht, ob das besser gewesen wäre. Ich verbiete mir für die Zukunft jedenfalls sämtliche dummen Kommentare zu meiner Frisur. Meine Haare stehen, liegen oder kleben alle fest auf dem Boden des Grundgesetzes!
Wie das sich auch verhalten mag – schlechter Geschmack in der Brillenmode war noch keine Straftat, als ich zum letzten Mal ins StGB geschaut habe. Die Richterin sah das ähnlich und sprach zehn von zwölf Angeklagten frei. In dem Anklagepunkt, um den es hier eigentlich ging, nämlich Volksverhetzung, wurden sogar alle zwölf freigesprochen. Aber die Richterin sah das Ganze als Versammlung im Sinne des Versammlungsrechts an.
In Deutschland kann so ziemlich alles, an dem mehr als zwei Personen unter freiem Himmel beteiligt sind, zu einer Versammlung umgedeutet werden. Wenn das passiert, dann ist man plötzlich nicht nur Teil einer unangemeldeten Versammlung, die von der Polizei aufgelöst werden kann, sondern dann gelten auf einmal auch die Strafgesetze von Versammlungen, die für Demonstrationen und Ähnliches erlassen wurden. Das heißt vor allem: Das Bei-sich-Führen einer ganzen Reihe von Gegenständen, die man normalerweise problemlos bei sich führen darf, wird mit dieser Einstufung als „Versammlung“ plötzlich zur Straftat. Nun hatte die Polizei bei der Personenkontrolle bei einem Angeklagten ein Pfefferspray und bei einem anderen ein Taschenmesser gefunden.
Die Geldstrafen, zu denen die beiden dafür verurteilt wurden, sind ärgerlich, halten sich aber im Rahmen; nur müssen sie dazu noch die Gerichtskosten tragen und bleiben auf den eigenen Anwaltskosten sitzen. Das ist eine der Unsäglichkeiten des deutschen Strafprozesses: Wenn die Staatsanwaltschaft fischen geht – also ein Netz an Anklagepunkten auswirft und schaut, was hängen bleibt –, dann ist das nicht nur legal, sondern ein Angeklagter, der auch nur in einem einzigen Punkt schuldig gesprochen wird, trägt den vollen finanziellen Schaden des gesamten Verfahrens.
Es wird immer viel darüber geredet, was man denn gegen Repression tun sollte. Die substanziellen Vorschläge sind deutlich seltener. Ein wesentlicher Teil besteht natürlich darin, dass unsere Grundrechte alle aus der Zeit vor dem Computer stammen – ja sogar aus der Zeit, bevor es für jedermann üblich war, ein Bankkonto zu besitzen. Deshalb sind Kontensperrungen und Accountlöschungen ganz grundrechtekonform möglich. Aber auch im Versammlungsrecht und in der Strafprozessordnung sind dringend Reformen nötig. Das Missbrauchspotenzial der bestehenden Regelungen ist immens.
