Von der Leyen am Abgrund?

Die Präsidentin der EU-Kommission steht erneut unter Beschuss. Rechte wie linke Fraktionen haben gleichzeitig Misstrauensanträge eingebracht. Das Vertrauen ist weg. Doch kann die Kommission tatsächlich stürzen?

Das aktuelle Bild hat keinen Alternativtext. Der Dateiname ist: Ursula_von_der_Leyen_during_the_European_Ceremony_of_Honour_for_Jacques_Delors_2024.jpg
(Ursula von der Leyen: © European Union, 2025, CC BY 4.0, via Wikimedia Commons)



Gleich zwei Lager im Europaparlament ziehen die Reißleine: Die rechte Fraktion „Patrioten für Europa“ ebenso wie die Linksfraktion haben Misstrauensanträge gegen die gesamte Kommission gestellt. Während die Rechte von der Leyens Klima- und Migrationspolitik, ihre Intransparenz und Zensurvorhaben geißelt, wirft die Linke ihr ein unheilvolles Zollabkommen mit den USA sowie eine verfehlte Haltung im Nahostkonflikt vor.

Dass von zwei so gegensätzlichen Seiten gleichzeitig die Abwahl gefordert wird, zeigt: Von der Leyen verliert den Rückhalt nicht nur in den Rändern sondern auch in der Mitte des politischen Spektrums wächst das Unbehagen.

Hürden: hoch aber nicht unüberwindbar

Rein formal sind die Hürden gewaltig: Ein Misstrauensantrag braucht die Zustimmung von mindestens 361 Abgeordneten (Mehrheit aller Mitglieder) und zugleich eine Zwei-Drittel-Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Bei 720 Sitzen bedeutet das: Fast 480 Stimmen wären nötig, falls alle Abgeordneten teilnehmen.

Im Juli scheiterte ein Antrag noch deutlich 360 Abgeordnete stimmten gegen, nur 175 dafür. Doch die Situation hat sich seither verschärft.

Sitzverteilung: Die Blöcke rücken zusammen

Die Zahlen zeigen, wie eng es werden kann:

  • Die konservative EVP verfügt über 188 Sitze, die Sozialdemokraten über 136. Schon diese beiden Blöcke stellen gemeinsam 324 Abgeordnete.
  • Mit den Liberalen von Renew (77 Sitze) oder sogar den Grünen (53 Sitze) könnte die Zahl weit über die nötigen 361 steigen und gefährlich nah an die Zwei-Drittel-Grenze rücken.
  • Auf der Gegenseite stehen die Patrioten (84), die EKR (78), die Linke (46) und weitere EU-Skeptiker. Zusammengerechnet ergibt das jedoch noch keine Mehrheit.

Das heißt: Die Entscheidung fällt in der Mitte. Wenn EVP und Sozialdemokraten ihre Unterstützung aufkündigen oder auch nur bröckeln lassen, wird es brandgefährlich für von der Leyen.

Vertrauensverlust frisst sich in die Mitte

Genau hier liegt der Kern des Problems: Von der Leyen kann sich nicht mehr auf verlässliche Mehrheiten stützen. Kritik kommt inzwischen nicht nur von den „üblichen Verdächtigen“, sondern auch aus den Reihen derer, die sie eigentlich tragen müssten. Jede Enthaltung, jede Abweichung aus der Mitte könnte die Waage kippen.

Das Misstrauen wächst, weil die Präsidentin zentrale Fragen ungelöst lässt: eine völlig verfehlte Migrationspolitik, die Zerstörung der Industrie durch überzogene Klimapläne, ein Abkommen mit den USA, das Europas Wirtschaft gefährdet – und eine Haltung in internationalen Konflikten, die zunehmend als schwach und orientierungslos wahrgenommen wird.

Noch hält der Stuhl – aber er wackelt

Noch ist ein Sturz nicht wahrscheinlich, aber das Eis wird dünner. Wer die nackten Zahlen betrachtet, erkennt: Von der Leyen überlebt nur, solange die politische Mitte geschlossen hinter ihr steht. Doch genau dieser Rückhalt bröckelt.

Die gleichzeitigen Misstrauensanträge von rechts und links sind kein Zufall, sondern Ausdruck einer tiefen Krise. Ursula von der Leyen hat es geschafft, das gesamte politische Spektrum gegen sich aufzubringen. Ob der nächste Schritt der Abgang ist das hängt nun davon ab, wie lange EVP, Sozialdemokraten und Liberale noch bereit sind, dieses Spiel mitzutragen.